Die Hölle, der Teufel und das Böse

Buchreisen in die Abgründe des Seins

 Von Rudolf Kraus

 

Die hier vorgestellten Bücher kreisen allesamt um einen Themenkomplex, der von jeher die Menschheit fasziniert wie gebannt hat. Die Hölle wird hier von unter-schiedlichen Zugangsweisen untersucht: Einerseits aus der Sicht des christlichen Theologen, der sehr wohl auf die Quellen und Darstellungen aus anderen Kulturkreisen zurückgreift, auf der anderen Seite stehen die Ausführungen des Franzosen Georges Minois, der das Phänomen Hölle aus sozialhistorischer und religionsphilosophischer Sicht untersucht hat. Die Kulturgeschichte des Bösen, der differenten Darstellung des Teufels und der literatur­ und kulturhistorisch interessante Band über schwarze Messen ergänzen diesen Themenbereich um zusätzliche Aspekte.

Georges Minois geht von den ältesten Vorstellungen der Hölle aus, wo dieser Ort in erster Linie einen Aufenthaltsort der Toten ohne moralische Wertung ähnlich dem Leben im Diesseits darstellte. Bei den Ägyptern war der soziale Unterschied im Totenreich sozusagen aufgehoben; auch der Pharao bedient den Pflug wie der Bauer (allerdings war aufgrund der Grabbeigaben und der Qualitätsunterschiede der Einbalsamierung ein Unterschied gegeben). Die islamische Hölle ähnlich der christlichen wird jedoch schon im Koran relativ konkret beschrieben, sogar eine Art Fegefeuer gibt es.

Die Bibel gewährt nur dürftige Angaben zur Hölle. Das Fegefeuer ist überhaupt eine Schöpfung der Theologie, um dem aufkeimenden Kapitalismus, seiner neuen Stellung gemäß, auch die Möglichkeit zur Läuterung und zum Aufstieg ins Himmelreich zu gewähren. Die islamische Hölle hingegen birgt die Möglichkeit der Gnade Allahs und ist somit nicht grundsätzlich eine ewige Verdammung (besprengt mit Wasser vom Fluß des Lebens steigt man in den Himmel auf). In der christlichen Welt glaubt heute nur mehr ein Viertel der sich zur Kirche Bekennenden an die Hölle. So gerät dieses Buch auch immer mehr zu einer philosophischen Neudefinition, zu einer Suche nach neuen Höllenbegriffen. Minois hat hier ein sehr kompetentes, visionäres Buch geschaffen, das den Begriff Hölle ausführlich analysiert.

Gerald Messadié schreibt seine Geschichte des Bösen in einem sehr persönlichen Stil, der von den Eindrücken eines Weltreisenden und ethnologisch interessierten Menschen geprägt ist. Und seine Reisen und Recherchen durch die Geschichte und die Kulturen verdeutlichen, daß der Teufel gar nicht so verbreitet ist, wie die Vielfalt seiner verschiedenen Namen und wie uns vor allem die Weltkirchen gepredigt haben. Messadié baut hingegen anhand etlicher Fakten und Untersuchungen die These auf, daß der Teufel als Gegenspieler Gottes eine Erfindung ist, um die Macht und Herrschaft der Kirche abzusichern und zu erhalten. Gerade im Islam und im Christentum wurde und wird der Satan immer wieder als Druckmittel und politisches Instrument angewendet. In einigen Kulturen ist das Böse (wie auch das Gute) im Menschen ausreichend; ein Teufelsbild wird überflüssig. Gerald Messadiés Buch ist ein spannendes, gut lesbares Werk zur Geschichte des Bösen, das sich eine erfrischende Nüchternheit bewahrt.

Im Gegensatz zu anderen Arbeiten zum Thema Hölle wendet sich der Theologe Herbert Vorgrimler ganz der christlichen Höllenvorstellung zu. Allerdings hat er diesen Bereich mitsamt seinen Quellen genau und intensiv durchforscht und bietet mit seiner Geschichte der christlichen Hölle ein umfangreiches, kompetentes Werk an, das auch den Spuren der Hausbücher und den Visionen von Höllenbildern folgt. Trotz Vorgrimlers Eingeständnis, daß ob der Fülle des erforschten und recherchierten Höllenmaterials eine Vollständigkeit unmöglich ist, stellt diese Arbeit dennoch die wahrscheinlich beste Sammlung dar, die bisher zusammengetragen wurde. Herbert Vorgrimler verfolgt mit seinem Buch das ehrgeizige Ziel, den christlichen Fanatismus und den Mißbrauch mit der Höllendarstellung einzudämmen, wenn nicht auszuschalten. Information, sprich Aufklärung als Mittel gegen eine Anwendung des Höllenthemas, die einstmals zur Inquisition mit all ihren Folgen geführt hat.

Der Suhrkamp-Verlag hat mit dem Band über schwarze Messen die Neuauflage der bereits legendären An­thologien fantastischer Literatur, die zwischen 1968 und 1973 in der „Bibliotheca Dracula” des Carl-Hanser-Verlags erschienen sind, abgeschlossen (die weiteren Titel lauten: „Von denen Vampiren”, „Künstliche Menschen” und „Werwölfe und an­dere Tiermenschen"). Das Außergewöhnliche an diesen Ausgaben ist das Zusammenspiel von Dokumenten, Berichten und literarischen Bearbeitungen. Die hier dokumentierten Überlieferungen schwarzer Messen reichen von den „Bacchanalien " des Livius bis zum Prozeß des Gilles de Rais. Die literarischen Bearbeitungen stammen u. a. von Marquis de Sade, Charles Baudelaire, Gustav Meyrink und Robert Bloch. Hier triumphiert die Sprache über die Handlung. Eindrucksvoll beweist dies Joris Karl Huysmans, dessen Schilderung einer schwarzen Messe aus dem berühmten Roman „Tief unten” entnommen ist. Ulrich K. Dreikandt hat die hier versammelten Schriften und Texte sorgfältig ausgewählt. Sein umfassendes kulturgeschichtliches Nachwort, das er für diese Neuausgabe ergänzt hat, bietet zudem noch interessante Informationen zu diesem Thema. Eine Bibliographie, die ebenfalls überarbeitet wurde, beschließt diesen Band.

Der Kulturpsychologe Rolf Kaufmann entwirft in seinem Buch eine Kulturgeschichte der Hölle, die sich vom archaischen Grundbild löst und mit Hilfe der Tiefenpsychologie eben tief in die Abgründe der eigenen Seele blickt, um von dieser Warte aus der „unbewußten Hölle” ihre spezifische  Existenzberechtigung  auszusprechen. Ausgehend von den Archetypen, den Urprägungen unserer Seele und den in diesem Zusammenhang stehenden Untersuchungen C. G. Jungs leitet der Autor über zum Begriff i zur Bedeutung von Hölle, Totenreich und Unterwelt in der Weltreligion Rolf Kaufmann kritisiert dabei auch Festlegen der katholischen Kirche auf archaische Bilder und Vorstellungen. Und gerade konservative  Kreise in der katholischen Kirche lehnen strikt eine tiefenpsychologische Deutung der Hölle ab. Der Autor selber kann auf eine reiche theologische Erfahrung zurückgreifen, er nach eigenen Angaben 25 Jahre lang als Gemeindepfarrer tätig war und in dieser Funktion mit den Ängsten und Nöten der Kirchenbasis vertraut war. So argumentiert er, daß der Zugang zur Hölle über die Psychotherapie (zur Ergründung des Unbewußten) für viele Gläubige ein neuer Weg, möglicherweise ein neuer Halt sein kann, der die Abkehr und somit den Austritt aus der Kirche schmälern kann. Das letzte Kapitel des Buches beschreibt den Umgang mit Hölle und Unterwelt im Märchen anhand einiger Beispiele. Im Schlußcredo fordert Rolf Kaufmann zum Weiterreisen in die Abgründe unseres Seins auf (mit Respekt vor dem Teufel und Hoffnung auf Gnade).

 

 

Dante und Virgil im Inferno, gezeichnet von Gustave Doré

Textfeld:


Gerald Messadié: Teufel, Satan, Luzifer. Universalgeschichte des Bösen.

Aus dem Französischen von Michaela Meßner Frankfurt: Eichborn, 1995. 435 Seiten.

 

Rolf Kaufmann: Die Hölle. Eine neue Reise in unsere Unterwelt.

Solothurn (u. a.): Benzinger, 1994. 207 Seiten.

 

Schwarze Messen: Dichtungen und Dokumente.

Hrsg. v. Ulrich K. Dreikandt. Frankfurt: Suhrkamp 1994, 324 Seiten.

 

Herbert Vorgrimler: Geschichte der Hölle.

München: Fink 1994 (2. verb. Aufl.), 472 Seiten.

 

Georges Minois: Die Hölle. Zur Geschichte einer Fiktion.

Aus dem Französischen von Sigrid Kester. München: Diederichs 1994. 429 Seiten.

 

 

 aus dem Feuilleton "Extra" der Wiener Zeitung, August 1996

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